22.Juli 2017 - Tag 57 - haase-news

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22.Juli 2017 - Tag 57

Wandern > Jakobsweg > Tag 51-60
Gestern Abend fing alles an: Ich kam vom Abendessen zurück, zog schwungvoll die Tür auf - und blieb überrascht stehen. Eine junge Frau sprang vom Sofa auf. Sie hatte wohl geglaubt, ich wäre ein Offizieller. "Je suis pelerine", sagte sie. "Je suis pelerin", antwortete ich. Es stellte sich heraus, dass sie spät an der Herberge angekommen war und im Moment versuchte, eine Verwalterin zu erreichen. Zur Not, meinte sie, müsse sie eben auf dem Sofa übernachten. Ich meinte, auch noch etwas von "Cousine" gehört zu haben, war mir aber da nicht sicher. Sie fragte, wann ich am nächsten Tag loslaufen wollte, und ich antwortete, dass ich um 4 Uhr aufstehen wollte und mich so früh wie möglich auf den Weg machen wollte.

Ich legte mich schlafen, hörte noch Geräusche auf dem Flur und war mir sicher, dass die junge Frau ein Zimmer bekommen hatte.

Am Morgen stand ich so leise wie möglich auf, machte mich fertig und ging dann in den Aufenthaltsraum (Küche mit Sofas), um mir etwas Frühstückähnliches zu machen. Kaffee hatte ich keinen, etwas Knäckebrot, aber nichts drauf. Ich wollte Früchte essen und Wasser trinken.

Ich schaltete das Licht ein - und zwei (!) junge Frauen schraken von den beiden Sofas hoch: die beiden Cousinen. Die Ähnlichkeit war so groß, dass ich gar nicht wusste, mit wem der beiden ich gestern Abend gesprochen hatte. Sie hatten die Verwalterin nicht erreicht und auf den Sofas geschlafen. Sie hatten auch kein Essen dabei. Ich gab ihnen meine beiden Äpfel und jeder eine Nektarine, die sie dankbar annahmen, aß selber auch eine.und machte mich auf den Weg.

Ich hätte mir die Strecke noch einmal ansehen sollen: Es war noch stockdunkel draußen, und ich konnte kein Wanderzeichen entdecken. Kurze Zeit später waren auch die beiden auf der Straße, und wir setzten unsere Suche gemeinsam fort.

Zum Glück wurde es kurz darauf hell, und eine der beiden fand ein Wanderzeichen. Wie sich später herausstellte, hieß sie Elaine und lief immer mit Abstand vornweg.

Die andere der beiden, Virgie, begleitete mich. Während unserer Unterhaltungen verging die Zeit wie im Flug. Das war auch gut so, denn die Landschaft hatte sich radikal verändert.

Die leicht wellige Hochfläche war passé. Wir waren in den nördlichen Ausläufern des Zentralmassifs angekommen. Die Landschaft hatte sich zu einem Mittelgebirge verändert mit saftigen Steigungen und noch saftigeren Abstiegen.

Virgie war gestern auf dem Weg nach Gargilesse gefallen, ähnlich wie ich auf dem Grasweg vor Pierre-Perthuis. Nur hatte sie nicht so viel Glück wie ich. Der Boden war hart, und sie hatte sich das Schienbein richtig aufgeschlagen. Sonst war alles so abgelaufen wie bei mir: Kurz vom Boden aufgeschaut, ins Stolpern gekommen, der schwere Rucksack ließ nicht zu, dass sie ihr Gleichgewicht wieder fand, Sturz nach vorn, Rucksack rutscht gegen den Hinterkopf, Gesicht schlägt auf den Boden. Davon sah man zum Glück aber nichts.

Jedenfalls war das der Grund gewesen, warum die beiden in Gargilesse Station machen mussten. Eigentlich hatten sie noch knapp 10 km weiter gehen wollen.

Heute ging ich also nicht allein. Als wir den drastischen Aufstieg hinter uns hatten und die Strecke für einige Zeit in leichtem Auf und Ab verlief, sahen wir vor uns drei Pferde die Straßenseite wechseln. Reiter oder Besitzer waren nicht zu sehen. Als wir an der Stelle ankamen, standen die drei auf einer Grasfläche und warteten. Virgie machte den Fehler, sie anzusprechen. Plötzlich hatten wir 3 Pferde, die hinter uns her trotteten. Eines der drei, das kleinste, hatte allerdings irgendetwas Schlimmes am Fuß, möglicherweise ein Geburtsfehler. Das Bein knickte ständig weg.

Es war fast genau wie bei dem kleinen Hund vor Touls: die drei folgten uns einfach. Erst nach etwa einem Kilometer blieben sie zurück.

In Cuzion suchten wir nach einem Café. Es gab eines, aber es öffnete erst um 8 Uhr. Es war aber erst 7:15 Uhr. So lang wollten wir nicht warten und machten uns wieder auf den Weg.

Es folgte ein dramatischer Abstieg auf einem Felsenpfad, an dessem Ende wir auf gleicher Höhe wie die Creuse waren. Dann schloss sich am Wasser entlang ein Pfad an, den man mit Fug und Recht Urwaldpfad hätte nennen können.

Dann ging es über den Pont de Pilat und damit über die Creuse - die letzte Gelegenheit: Weiter oben gibt es einen riesigen Stausee, und man kann nicht einmal auf der Staumauer auf die andere Seite.

Es ging wieder bergauf. Auf halber Höhe entdeckten wir ein Café. Mit lauten Halleluja-Rufen eilten wir darauf zu. Die Freude war verfrüht, auch dieses Café war (noch?) geschlossen.

Also weiter, wieder ganz nach oben. Elaine war, vom Kaffeedurst getrieben, nicht mehr zu sehen. Virgie und ich folgten teils schweigend, teils erzählend den Wegzeichen - bis der Weg plötzlich auf einem Feld endete. Wir hatten einen Abzweig verpasst und mussten fast einen Kilometer zurück laufen.

Danach ging es aber schnell: Etwa eine halbe Stunde später sahen wir Elaine auf der Terrasse einer Bar sitzen und Kaffee trinken. Virgie hatte unterwegs ein paar gelbe Pflaumen von einem Baum geklaut und sie mit mir geteilt. Der Hunger war also nicht mehr ganz so schlimm.

Elaine spendierte mir als Dank für mein geteiltes "Frühstück" eine Tasse Kaffee. Dann kam die Stunde des Abschieds: Die beiden mussten heute noch bis nach La Souterraine, meinem Ziel für morgen, dass von der Zwischenstation Éguzon, wo wir uns befanden, noch über 30 km entfernt war. Die beiden hatten beschlossen zu trampen. Virgie malte ein großes Schild, dann verabschiedeten wir uns: mit Handschlag bei Elaine, mit Abschiedskuss bei Virgie.

Mit ehrlichem Bedauern setzte ich meinen Weg fort, sah mir die Kirche an, entdeckte eine Epicerie, in der ich meine geschrumpften Vorräte ergänzen konnte (was das Rucksackgewicht wieder deutlich erhöhte) und trottete von dannen.

Auch der Weiterweg war nicht ohne Steigungen. Der Hammer war aber der Abstieg (und anschließende Aufstieg) nach Crozant. Steil führte die Straße in Kehren hinunter in eine Schlucht, wobei der Blick frei wurde auf die Ruinen einer uralten Festung, die im 30jährigen Krieg zerstört wurde. Dann ging es über eine abenteuerliche Brücke und danach wieder hoch. Bei einem Hotel standen Frauen und Männer mit wunderschönen Trachten. Ich fragte sie, ob ich sie für den Blog fotografieren dürfe. Und es war fast wie früher: Sie freuten sich darüber und bedankten sich bei mir, als ich mich bedanken wollte.

An der Kirche hoch oben im Ort angekommen, musste ich mich doch erst nochmal ausruhen. Es gab Bänke mit der schönen Aussicht auf die Ruinen.

Ich wusste, dass ich den Schlüssel zu Herberge in einem Café bekommen würde. Mit Google Maps hatte ich es schnell gefunden und war auch bald da. Ich wollte die Gelegenheit nutzen und dort auch gleich zu Mittag essen. Meine Güte - wenn die Leute hier im Limousin etwas von einem "großen Salat" schreiben, dann meinen sie es auch so. Auf dem Teller gab es einen Berg Salat. Pappsatt und mit dem Schlüssel in der Hand lief ich zurück zur Herberge (bei der Kirche ). Sie ist einfach, aber sauber und erfüllt völlig ihren Zweck. Bis jetzt bin ich noch ganz allein in den beiden Räumen mit ca. 10 Betten.

Morgen geht es nach La Souterraine. Mal sehen, welche Überraschungen dort auf mich warten...
Alle Bilder: Bitte Vorschaubild anklicken!
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